Neues lesen
Das große Interesse an den nordeuropäischen Literaturen ist auf dem deutschsprachigen Buchmarkt seit vielen Jahren unübersehbar. Dieser breiten Nachfrage entspricht die fachliche Profilierung der Skandinavistik hingegen kaum: Neuerscheinungen oder eine breiter zu fassende Gegenwartsliteratur sind in der skandinavistischen Forschung und Lehre wenig präsent. Weiterhin ziehen Schlüsselepochen wie die Romantik, der sog. Moderne Durchbruch oder die Jahrhundertwende um 1900 die meiste Aufmerksamkeit auf sich.
Wie andere Gegenwartsliteraturen sind auch die nordeuropäischen zunehmend von einer gleichermaßen globalisierten wie postnationalen Situation geprägt. Die Texte aus Nordeuropa – unter ihnen ein Überangebot von Kriminalromanen – treffen jedoch im deutschsprachigen Raum immer noch viel zu häufig auf Rezeptionsparadigmen, die auf idyllisierte „singende Wälder“ und ein vermeintlich modellhaftes Wohlfahrtsstaatssystem fokussieren. Auch wenn in Nordeuropa weder das Interesse an idyllischen Szenographien noch an lebensweltlichen Utopien erloschen ist, bestimmen heute ebenso Themen wie der Rechtspopulismus, die Auswirkungen der Medienrevolution oder die Kritik an der ökologischen Zerstörung die literarische Agenda. Die naive ‚Norden-Begeisterung‘ ist mit selbstreflexiven und selbstkritischen literarischen Texten aus Nordeuropa in Beziehung zu setzen.
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Theoriegeleitetes Arbeiten ist für Literaturwissenschaft selbstverständlich. Die literarischen Texte selbst wieder verstärkt in den Fokus zu rücken, bedeutet daher nicht, die Illusion eines voraussetzungslosen Lesens zu pflegen. Denn die Beitragenden werden ihre unterschiedlichen methodologischen und diskursiven Kontexte in das Gespräch über die Texte einbringen. Doch auf diesen Seiten steht nicht die oft interdisziplinären Verbünden geschuldete Unterordnung unter Leitfragen, gemeinsame Konzepte und Methoden im Vordergrund, sondern die Idee der literarischen Texte selbst. So können die skandinavischen Gegenwartstexte ihre ganze Komplexität ausspielen.
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Der Name dieser Website ist daher doppelt zu verstehen. In der Version „Neues lesen“ ist der Gegenstandsbereich angedeutet: neuerschienene belletristische Texte. In der Version „neues Lesen“ hingegen ist der Titel als Programm zu verstehen: Es soll – innerhalb des akademischen Betriebs – ein Raum etabliert werden, in dem ein Gespräch über Literatur geführt wird, noch bevor sie in einen akademischen Verwertungszusammenhang eingeht.